alles wird nach oben geschickt
(everything is sent upstairs)


Asli Özdemir entwirft in ihrer wandfüllenden Arbeit ein Tableau von kleinen Beobachtungen, von auf den ersten Blick alltäglichen erscheinenden Haushaltsgegenständen, die sich aller- dings in einem geradezu absurd anmutenden Zustand der Unordnung oder der Vernach- lässigung befinden: Kleidungsstücke und Lebensmittel, elektrische Geräte neben Geschirr, Haare 
und Schuhe in der Badewanne. Personen tauchen in diesen Bildern nicht auf, ein bis auf Kleiderhaken geleerter Schrank verweist deutlich auf Abwesenheit. Tatsächlich lässt sich Aslı Özdemir von eigenen Erlebnissen leiten, die mit dem traditionellen türkischen Trauerritual "taziye" zu tun haben. In der ersten Woche nach einem Todesfall empfängt die trauernde Familie die Kondo- lenzbesuche enger Freunde und Verwandte. So entsteht vorübergehend eine Trauer- gemeinschaft, die auch eine Heterotopie im Sinne Foucaults, ein Ort an dem die üblichen Regeln nicht mehr gelten, und zu den "ambivalenten Situationen"(Özdemir) führt, die die Künstlerin in ihren Stilleben nachstellt. Dabei dient die Inszenierung der Aunahmesituation letztendlich dem Ziel wieder in die Normalität zurückzukehren.

 

 

Text: Andreas Schlägel

 

 

 

 

 

 

EN

 

In her wall-filling work, Aslı Özdemir creates a tableau of observations, of household objects that at first glance seem everyday, but which are in a absurd state of disorder or neglect: Clothing and food, electrical appliances next to crockery, hair and shoes in the bathtub. No people appear in these pictures; a cupboard emptied except for a coat hook clearly indicates absence. In fact, Asli Özdemir allows herself to be guided by her own experiences, which have to do with the traditional Turkish mourning ritual "taziye". In the first week after a death, the grieving family receives condolence visits from close friends and relatives. In this way a mourning community is temporarily created that also leads to a heterotopia in the sense of Foucault, a place where the usual rules no longer apply, and to the "ambivalent situations" (Özdemir) that the artist recreates in her still lifes. The staging of the exceptional situation ultimately serves the goal of returning to normality.

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Während sie darauf wartet, 

dass der Schwarztee kocht,

überkommt sie ein Lachen.
Sie ist kurz davor, es loszu-

lassen. Sie schauen sich an,

fangen an zu kichern.
Die ältere Frau in der Küche

hebt ihre Augenbrauen hoch, 

schaut sie verärgert an und 

sagt: "Es ist sehr unange-
bracht zu lachen, während

andere Menschen im Ne-

benzimmer schluchzen. 

Hört sofort auf damit! Was

sollen die Leute denken!"
Sie kichert weiterhin heim-

ich in sich hinein, kann 

nicht aufhören.


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Tablett, das Klirren der Tee

gläser. Das kleine Mädchen ver-

teilt den Tee an die Gäste, ohne

genau begreifen zu können,

was gerade vor sich geht.

Aber sie ist äußerst glücklich da-

rüber, diese Aufgabe erteilt be-

kommen zu haben. Ihre Brust

füllt sich mit einem Gefühl des

Stolzes.

 

 

 

Die Schwiegertöchter arbeiten in der Küche.

Unaufhörlich arbeiten ihre Hände.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Alle tragen irgendwelche Aufbewahrungsboxen

oder Schüssel in der Hand. Das Essen stapelt 

sich bis an die Decke. Bei jedem Bissen sagen 

alle: "Es soll an die Seele geschickt werden."
Ist es möglich, dass diese ganzen Gebete und

das viele Essen durch ein Transportmittel nach

oben befördert werden?

Ein lautes Durcheinander. Am Eingang rauchen zwei Männer. Ihre Augen sehen müde aus. Die Tür steht offen.Sie hat Bauchschmerzen. Es gibt noch so viele unbekannte Wangen, die sie küssen wird. Sie schaut runter auf sich selbst. Sind es die richtigen Klamotten, die sie an hat? Die Nachricht hat sie vorhin erhalten, kam direkt aus der Schule hier her. Hätte sie sich noch einmal umziehen sollen? Aber dann hätte sich alles verzögert und sie wäre zu spät angekommen. Dann hätte ihr Onkel gefragt, wo sie so lange gesteckt habe. Die Schminke hat sie im Auto weggewischt. Es war sowieso nicht viel. Trotzdem wäre es doch unangebracht, die Leute würden es als respektlos bezeichnen. Für sie selbst ist das ziemlich egal, aber die Leute reden.


"Sobald eine Person begraben wird, weht ein kühler Wind", sagte einst eine alte Frau. Meinte sie vielleicht eine Art von Erfrischung, die man spürt, nachdem man ein Glas kaltes Wasser getrunken hat? 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Über die Mutter eines Mädchens wurde erzählt,

dass sie die Großmutter ihrer Tochter umge-

bracht hat, weil sie sich ihren Ansatz färbte.

Die Verwalter der Trauergemeinschaften sind die Frauen. Ganz im Ernst, wieso waren die Männer so schweigsam?